Das Frauenmuseum in Bonn
Der weibliche Kampf um Gleichberechtigung dauert bereits sehr lange, abgeschlossen ist er keineswegs. Über eine Institution, die diesen Kampf schon seit geraumer Zeit aufgenommen hat und bis heute fortführt – und damit den Kunstbetrieb ständig verändert.
In der kopfsteingepflasterten Altstadt von Bonn, berühmt für ihre Kirschbäume, deren weiße Blüten jedes Jahr Touristenmassen nach Bonn strömen lassen, hängt ein großes Banner. Es verweist auf das Bonner Frauenmuseum, in einem Hinterhof gelegen. Das Museum ist das erste seiner Art und Vorbild für weitere Frauenmuseen auf der ganzen Welt. 1981 wurde es ins Leben gerufen. Das museale Konzept verschreibt sich dem Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen auf mehreren Ebenen. Als junge Frau, berichtet Marianne Pitzen, eine der Gründerinnen des Museums und bis heute seine Direktorin, bei einem Interview mit dem WDR, habe sie immer wieder feststellen müssen: keine Künstlerinnen. Frauen seien zwar als Musen, als Motive und Bildgegenstände abgebildet worden, der aktive, künstlerische Teil jedoch war männlich.
Im Frauenmuseum stellen fast ausschließlich Künstlerinnen aus. Bekanntere und Unbekanntere, Frauen aus Bonn und aller Welt. Sie sollen die Möglichkeit geboten bekommen, sich auf dem Kunstmarkt etablieren zu können. Zu diesem Zweck schreibt das Frauenmuseum in Bonn jährlich gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie weiteren Künstlerinnenvereinigungen den Gabriele-Münter-Preis, den wichtigsten Preis für bildende Künstlerinnen in Deutschland, aus.
Doch nicht nur in der Kunst sollen Frauen gefördert werden, auch die Rolle der Frau in der Kunst wie in der Gesellschaft wird aufgearbeitet und kreativ verarbeitet. Dabei entstehen Ausstellungen wie #Freundinnen und – wie könnte es anders sein – zum hundertjährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts in Deutschland.
Zur Person
Marianne Pitzen ist eine Frau voller Tatendrang und Durchsetzungsvermögen. Beschäftigt bis zur Überlastung, niemals ruhend, übernimmt sie viele Aufgaben gleichzeitig für ihr Lebenswerk.
Geboren wurde sie 1948 in Stuttgart, ihre Jugend verbrachte Pitzen in Bonn. Hier lebt sie seitdem mit ihrer Familie. Seit 1969 stellt die Künstlerin ihre Werke aus. Wanderausstellungen wurden unter anderem in Zürich und Wien gezeigt, aber auch in vielen bekannten Frauengalerien. In den 1970er Jahren gründete sie das Künstlerinnenkollektiv „Frauen formen ihre Stadt“, in den 1980ern „zart & zackig“. Mit diesen Gruppen gründete Pitzen das weltweit erste Frauenmuseum in Bonn und leitet es seitdem. Gleichzeitig modelliert sie weiter an ihren Matroninnen, die, angelehnt an in Bonn gefundene, vorrömische Weihesteine, für sie das Matriarchat darstellen.
Zwischen Kunst, politischem Diskurs, Museumsleitung und ihrem großen Netzwerk würden Viele untergehen. Marianne Pitzen nicht.
„Frauen dürfen sich nicht so vereinzeln lassen“
JPR: Inwiefern bedeutet der Kauf des Hauses für Sie einen Neuanfang?
Marianne Pitzen: Das ist eine gute Absicherung. Nun kann uns kein Investor mehr an den Kragen gehen. Auch die Stadt, die wir als sehr willkürlich erlebt haben. Außerdem können wir das Haus noch viel mehr umgestalten. Es ist ein anderes Lebensgefühl. Wir können das als Phänomen in die Welt rausschicken. Wir haben ja auch einen Weltverband der Frauenmuseen. Das ist ermutigend für die anderen, denn viele haben auch große Probleme.
JPR: Haben Sie als Künstlerin und als Museum einen Bildungsauftrag?
MP: Ja, sicher.
JPR: Wie wird der umgesetzt?
MP: Wir verbinden aktuelle Kunst mit Geschichte oder anderen Wissensgebieten. Immerhin ist die Geschichte unsere Grundlage. (…) Diese Interdisziplinarität fordert unser Publikum dann auch heraus. Aber wir wollen sie ja auch nicht unterfordern. (Lacht.)
JPR: Was wäre denn das Lernziel im Frauenmuseum?
MP: Sehr viele Frauen haben zur Geschichte ein sehr ambivalentes Verhältnis. Oft muss immer wieder neu begonnen werden. Wir wollen das weibliche Geschichtsbewusstsein stärken, denn auch Frauen brauchen Vorbilder.
JPR: Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
MP: Ja, natürlich!
JPR: Ist das Ziel des Museums auch, feministische Bewegung zu kreieren?
MP: Ja, vorhandene Bewegung dokumentieren und aufgreifen und neue Bewegung kreieren. Vor wenigen Wochen hat sich beispielsweise eine neue feministische Zeitung vorgestellt. Hier treffen sich Gruppen, die beispielsweise den Frauenstreik organisiert haben. All diesen Gruppen geben wir bei uns Raum. Doch auch unsere Besucher*innen spiegeln uns, dass sie hier einiges gelernt und erfahren haben und das bestimmt ihr Bewusstsein und ihr Denken.
JPR: Was ist Ihr politisches Ziel?
MP: Zunächst einmal Gleichberechtigung. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen selbstbestimmt leben können und politisch sein können. Feminismus geht aber darüber hinaus. Wir wollen uns nicht an das bestehende Anpassen, sondern bestehende Machtstrukturen, die diese Welt in Gefahr bringen, verändern, nicht in sie hineinwachsen. Es geht um Denkmuster, die Humanität für alle Menschen gewährleisten sollen.
JPR: Als langjährige Feministin, wie beurteilen Sie die #metoo-Bewegung und die daran anknüpfenden Diskussionen?
MP: Immer wieder gibt es in Frauenbewegungen dieses Thema: Gewalt gegen Frauen. Das ist wie eine Grundlage. Immer wieder muss dieses Thema bearbeitet werden, weil die patriarchale Gesellschaft sich letztlich immer noch wenig geändert hat. (…) Wir können nämlich leider nicht annehmen, dass mit #metoo jetzt alles erledigt ist und alle Männer es verstanden haben. Und es gab auch immer Frauen, die gesagt haben: „Jetzt habt euch doch nicht so!“ Es gibt auch Frauen, die recht wenig kapieren. (…)
JPR: Warum hat #metoo diesen Erfolg nicht gebracht? Was müsste eine Bewegung mitbringen, um eine wirkliche Veränderung zu schaffen?
MP: Am Bewusstsein für Gewalt gegen Frauen muss gearbeitet werden; die gesellschaftliche Verachtung für Täter muss größer werden. Aber das dauert lange, wir haben das ja selbst erlebt. Die Grünen Frauen haben sich im Bundestag gegen Gewalt in der Ehe eingesetzt. Und was passierte? CDU, diese ganzen Typen, haben sich totgelacht. So wenig sensibilisiert waren die. Außerdem gilt: wenn eine Bewegung Erfolg haben soll, dann muss sie mächtig werden. Frauen müssen aus der Opferrolle raus und in die Positionen, wo sie die Macht zur Veränderung besitzen. Doch auch die Macht selbst muss hinterfragt werden. Wie kann sie aussehen, um nur Positives zu schaffen.
JPR: Was aber muss im Alltag passieren, damit Frauen nicht länger Opfer von Gewalt werden?
MP: Die meisten im Zuge von #metoo öffentlich gemachten Fälle von Alltagssexismus spielten sich ja im Beruf ab, in der Arbeitswelt. Man sieht: die Arbeitswelt selbst ist diskriminierend. Es stellt sich also für Frauen die Frage: mitspielen oder von außen diese Strukturen verändern. Eine Frau alleine schafft das aber nicht, da sind gemeinsame Kampfformen nötig.
JPR: Sie geben also den Frauen eine Mitschuld?
MP: Keine Schuld, aber eine Verantwortung, weil ich denke, auch die Frauen sollten ganz klare Ansagen aussenden; das Spiel, das viele oft spielen, ablehnen. Auch Frauen setzen da ihre Mittel ein, um zu spielen.
JPR: Wie können sich Frauen diesem Spiel entziehen?
MP: Sie müssen mitspielen, ohne sich korrumpieren zu lassen. Auch müssen sie sehr viel politisch lernen. Außerdem denke ich, es geht nicht, dass Frauen sich ausschließlich als Privatperson, als Individuum sehen.
JPR: Also wäre Solidarisierung nötig?
MP: Ja, politisieren und solidarisieren. Das ist die Grundlage. Wir brauchen wirkungsvolle, weibliche Netzwerke, die Frauen im Alltag stärken.
JPR: Gesellschaftliche Entwicklungen spielen sich ja heute viel in sozialen Netzwerken ab, formieren sich dort. Nutzen Sie diese auch privat?
MP: Joa, ergibt sich einfach so. Aber nicht allzu viel, denn ich habe eigentlich gar keine Zeit. (Lacht.)
JPR: Wie sieht es denn in Sachen Publikumsnachwuchs für das Frauenmuseum aus?
MP: Also, wenn die Leute ein Thema interessiert, dann sind sie da. Junge Leute kommen aber eher zu Veranstaltungen, einzeln eher weniger.
JPR: Sind sie zufrieden mit der Menge an Nachwuchs?
MP: Nein. (lacht) Das kann man alles ausbauen. Man muss sich viel einfallen lassen, damit man nicht auf einmal ‘ne leere Hütte hier hat. Es muss lebendig sein, es muss diskutiert werden. Jedes Projekt hier muss irgendwelche interessanten Zeichen der Veränderung aussenden. Das ist die Absicht.
JPR: Wie gewährleisten Sie denn, dass diese Zeichen auch ankommen?
MP: Viele hier sind auf Instagram und Facebook unterwegs, die sollen das dann ja auch weiterbringen. Es ist ja auch die Verantwortung einer jeden, die hier mitmacht, dass sie ihre Netzwerke betätigt. Das ist ganz wichtig. Also neben dem, was hier zentral von uns ausgeht.
JPR: Sehen Sie da noch Nachholbedarf?
MP: Ja, es kann immer wachsen. Wir müssen unsere Strukturen für junge Frauen weiter öffnen. Sie müssen bei uns auch Vorstand und Gremien Einfluss haben können, können aber bereits Projektideen einbringen und verwirklichen.
JPR: Haben Sie Vorbilder? Was sind, was waren Ihre Vorbilder?
MP: Es gibt so verschiedene Richtungen. Also die Museen, die fand ich, als ich als Jugendliche anfing, darüber mal nachzudenken, unmöglich. So richtig vergessene Orte, kaum Licht, niemals ein Café. Und Künstlerinnen, so etwas gab es einfach nicht. Mal irgendwo eine Käthe Kollwitz, so ein angegammeltes Blatt. Die Museen, die wollte ich so nicht hinnehmen, denn ich war ja eine werdende Künstlerin und dachte, da gehöre ich ja wohl hin. (lacht) Aber die Idee war sofort da und klar: ein Museum muss total lebendig sein. Es muss natürlich zurückblicken, aber genauso gut Gegenwart und Zukunft voll im Blick haben. Und so ist das auch heute.
JPR: Also hatten Sie keine Vorbilder, sondern Gegenbeispiele?
MP: Genau. Ich wurde eher abgestoßen von den Gegenbeispielen. Zwischenzeitlich sind auch die Museen zu einer Blüte gekommen, aber diesen Punkt haben sie offenbar wieder überschritten. Wir verlieren das Publikum wieder, weil wir so ein bisschen veröden. Viele Kunstmuseen haben ein Raumverständnis entwickelt, da gibt es lange Strecken, in denen nichts hängt. Das heißt, die Leere wurde bewusst gemacht. Und das ist für das Publikum, finde ich, eher abtörnend. (…) Dagegen haben wir immer die Fülle gesetzt. Die Fülle der Information, der kulturellen Vielfalt, der Vernetzung in den Themen. Wir haben es also eher mit dem Üppigen. Das wurde uns auch oft vorgeworfen, wir seien zu voll. Dann sage ich immer: Ja, die weibliche Wirklichkeit ist eben so üppig. (Lacht.)
JPR: Tolles Schlusswort! Vielen Dank.
MP: Gerne!
Artikel: Benjamin Denke
Interview: Benjamin Denke & Svea Möller