„Punk, Painting, Neu“ – durch das Auge eines Betrachters
Mitten im Belgischen Viertel der Kölner Innenstadt wartet hinter einer Toreinfahrt der festlich hergerichtete Innenhof der Galerie Martina Kaiser, welche die neuen Werke des Künstlers Alexander Höller beherbergt. Es ist ein überraschend sonniger und angenehm warmer Freitagabend des 3. Septembers – perfekt für eine Vernissage. Oder?
Tatsächlich war mir vor besagtem Abend mangels persönlicher Erfahrung nicht klar, wie solch eine mit Vernissage bezeichnete Eröffnungsfeier einer Kunstausstellung sich gestaltet – ganz zu schweigen von den für sie günstigen Wetterverhältnissen. Mit meinen eher gut gemeinten Versuchen im Kunstunterricht war die Malerei nie die Kunstform, mit der ich mich identifizieren konnte. Sie wollte sich mir auch nach Ende des Kunstunterrichts trotz durchaus großem Respekt vor erbrachten künstlerischen Leistungen anderer nicht so richtig erschließen. Umso überraschter war ich von mir selbst, als ich kurz vor 19:00h mit dem Reflekt-Team die Pforten zur Galerie betrat, um mir tatsächlich die Vernissage und die damit verbundene Ausstellung anzuschauen.
Irgendwie hatte die Veranstaltung es geschafft meine Neugier zu wecken: In seiner Reihe „Der stille Schrei“ greift der gerade einmal 25-jährige aber längst erfolgreiche Künstler Alexander Höller den bekannten „Schrei“ Edvard Munchs auf und gestaltet darauf aufbauend seine eigene Interpretation in Form von expressiven Selbstporträts. Dabei handele es sich um einen „Aufschrei gegen gesellschaftliche Konventionen, gegen Intoleranz, Vorurteile und gegen Hass“. Eine starke Thematik vor dem Hintergrund eines ruhmreichen Werkes. Wie verarbeitet ein junger Künstler das in seinen Werken? Zudem in einer so besonderen Zeit wie der jetzigen. Und kann ich das mit meinem begrenzten Kunstverständnis überhaupt nachvollziehen? Um das herauszufinden wage ich mich, einen Blick über meinen Tellerrand auf die Welt der zeitgenössischen Kunst zu werfen.
Im Innenhof der Galerie macht mich meine mutige Entscheidung zunächst nervös. Ich fühle mich ein wenig unbeholfen. Die bunte Menge eintrudelnder Gäste führt zum ein oder anderen „Hallo“ und sorgt allmählich für Entspannung, ebenso wie der freundliche Hinweis der anwesenden Kulturjournalistin Yorca Schmidt-Juncker, dass die Ausstellung gerne schon in Ruhe betrachtet werden könne. Es stellt sich ein gewisses Gewusel ein, während sich um mich herum alte Bekannte zu einem Wiedersehen begrüßen. Auch Alexander Höller selbst trifft schließlich ein. Der selbsternannte „The Emotion Artist“ sticht klar aus der Menge heraus. In ein knalliges Orange gekleidet tritt er selbstbewusst auf – nicht zuletzt durch den Mut, mit Konventionen zu brechen und einen Rock zu tragen.
Bevor auch das Reflekt-Team sich der den Künstler überfallenden Flut von Begrüßungen, Fragen und Fotos anschließt, widme ich mich einer ersten näheren Betrachtung der Werke Höllers, welche ebenso auffallen, wie der Auftritt des Künstler selbst. Auf großen Leinwänden schreien mich die dargestellten Gestalten stumm an, von einer Medusa über einen Affen bis hin zum Clown. Die Farbtöne – orange und blau – seien es gewesen, welche Höller besonders faszinierten, wie er uns mitteilt. Das hat er neben der Abendgarderobe auch in seinen Werken aufgegriffen. Der originale „Schrei“ vermittle zudem „den Eindruck von Wellen, die nach außen schlagen“, was er als passend zu unserer Generation empfinde.
In der Tat wirken die stummen Schreie auf mich sehr jung. Durch Spraypaint und die knalligen Farben sowie einen immer wiederkehrenden und provokant platzierten Mittelfinger erhält ein Gefühl von Streetstyle Einzug in die Kunstgalerie und mischt sich mit der beruhigenden Athmosphäre eines Ausstellungsraums. Eine Corona-Tristesse ist den Bildern in keiner Weise anzumerken, im Gegenteil: Nach dem anfänglichen Dämpfer durch abgesagte Veranstaltungen sei das vergangene Jahr die beste Zeit seines Lebens gewesen, berichtet der Künstler. Nicht nur habe er privat sein Glück in der Liebe gefunden. Auch habe ihm die Pandemie die Zeit gegeben, in sich zu gehen, an seinen Werken zu arbeiten und die Leute zu beobachten. „Wir sind alle nur Menschen, wir sind alle Natur!“ stellt Höller fest und das in einer sich ändernden Zeit, in der alles schneller und größer werde.
Nachdem das Blitzlichtgewitter abgeklungen ist, wird die Veranstaltung im Innenhof fortgesetzt. Bei untergehender Sonne richtet die Galeristin Martina Kaiser eine eröffnende Rede an die Anwesenden. Daraufhin ergreift Yorca Schmidt-Juncker das Wort und geht näher auf den Werdegang Alexander Höllers sowie die Hintergründe der Ausstellung und seiner Werke ein. Die Köpfe recken sich, um einen Blick auf die Demonstration eines speziellen Werkes zu erhaschen, welches im Zuge der Eröffnungsrede auf den Kopf gestellt wird und dann ein ganz anderes aber ebenso erkennbares Bild ergibt. Die Atmosphäre in der Menge um mich herum ist entspannt und es wird gebannt gelauscht.
Der Kreis von Personen setzt sich dabei auffällig bunt sowohl aus aufwendig gekleideter Abendgesellschaft und bekannter Prominenz als auch legereren Besuchenden und einigen jugendlichen Gesichtern zusammen. Vernissagen hätten leider oftmals das Image, „etepetete“ zu sein und in kleinem Kreis stattzufinden, berichtet Höller. Er begreife die Kunst jedoch als „zeitgemäße Gesellschaftskritik, die der Nachwelt im Gedächtnis bleibt“ und möchte mit ihr seine Generation widerspiegeln. Diese – und er – seien anders. Deshalb solle sich seine Ausstellung nicht durch Hürden bei der Teilnahme oder eine Ausrichtung auf die High Society auszeichnen. „Jeder kann kommen, so wie er ist“, versichert uns Höller und ermutigt alle dazu, einfach einmal vorbeizuschauen, auch oder gerade wenn sich der Zugang zu seinen Bildern nicht so recht erschließen möchte. Im Anschluss an die Ansprache kann die Ausstellung noch einmal betrachtet werden, woraufhin der Abend in geselligen Gesprächen ausklingt.
Auf dem Rückweg durch die belebten Straßen Kölns versuche ich die hinzugewonnenen Eindrücke in meinem Kopf zu ordnen. Im vergangenen Jahr, das für fast niemanden einfach gewesen ist, war mir immer wieder mal zum Schreien zu Mute. Vielleicht ist es gerade das, warum ich mich auf Höllers Ausstellung einlassen konnte. Weil man sich dem groß dargestellten stummen Schrei jedes Wesens in seiner Bildreihe einfach anschließen kann. So scheint mir, dass es Höller tatsächlich gelungen ist, den Zeitgeist seiner Generation mit seiner Ausstellung aufzufassen, welche er entsprechend mit drei Worten resümiert: „Punk, Painting, Neu“.
Artikel: Melvin Weiershäuser
Interview: Melvin Weiershäuser & Ilayda Aman