ESL Cologne: Meine ersten Gehversuche im virtuellen Sport

E-Sport. Wem von euch ist es ein Begriff? Und wer weiß, warum das Thema aktuell so eine große Rolle spielt? Miguel Plewka hat das Thema einmal genauer unter die Lupe genommen.


Ich ziehe den Hut, vor denjenigen, die mir diese Fragen beantworten können. Denn ich persönlich kenne mich in der virtuellen Spielewelt so gar nicht aus. Erst als ich vor kurzem einen kritischen Bericht im Netz gelesen habe, der sich mit der Frage beschäftigte, ob e-Sport ein Sport ist, wurde mein Interesse geweckt. Computerspiele, die schon lange das Kinderzimmer verlassen haben und mittlerweile sogar durch ihre wachsende Popularität Interesse im Bundestag wecken. Ist e-Sport nun eine Sportart oder nicht? Experten aus beiden Meinungsfronten bringen Argumente und Gegenargumente „ins Spiel“ und prallen dabei aufeinander.

Hitzige Diskussionen

Aber was ich nun glauben soll, weiß ich nicht. Über kein Thema wird in der Sportbranche, Politik und Gesellschaft so innig diskutiert, wie über die Zukunft von League of Legends, Dota 2. oder CS:GO. Aber nicht nur das: e-Sport ist heute allgegenwärtig. Egal, ob das Tennisturnier im heimischen Wohnzimmer an der Nintendo-Wii, Berge erklimmen mit der VR-Brille oder teamorientiertes Strategiespiel am PC. Überall begegnen uns heute e-Sport-Variationen im Alltag. Und doch sind die Gegenstimmen laut.

Die vermeintliche Debatte rund um e-Sport reizt mich. Wie kann man sich Sport am Laptop vorstellen? Schauen wir uns doch hierfür einmal weltweit große e-Sport-Events und Turniere, wie The International für Dota 2 oder die Call of Duty World League Championship für CoD: Infinite Warfare an. Gut besuchte Hallen, Preisgelder in Millionenhöhe, Teams die gegeneinander ihr Können unter Beweis stellen, ein festes Regelwerk. Wenn ich so darüber nachdenke, kommen mir direkt Bilder der letzten Fußballweltmeisterschaft vor Augen. Natürlich findet hier das Spiel zwar auf dem Rasen statt, aber ansonsten fallen mir da nicht viele Unterschiede auf. Wieso sollte also e-Sport keine anerkannte und etablierte Sportart sein?

E-Sports in der politischen Debatte

Auch Politiker loben inzwischen etablierte Videospiele „im Dienste der gesamtgesellschaftlichen Unterhaltung“. Aber ob es sich wirklich um Sportarten handelt, dazu äußert sich niemand so richtig. Die Berliner Piraten wollten es genauer wissen und gaben ein Gutachten in Auftrag, welches endgültig die Frage beantworten sollte, ob es sich bei e-Sport nun wirklich um Sport handelt. Das Ergebnis der Gutachter war leider nicht wie gewünscht. Für sie steht fest: e-Sport kann kein Sport sein. Hierfür lehnen sich die Gutachter vor allem an das Regelwerk des deutschen Olympischen Sportbunds, kurz DOSB. Dieses besagt, dass neue Sportverbände, die sich etablieren möchten, vor allem drei Hauptkriterien erfüllen müssen – nach dem Gutachten erfüllt e-Sport keins dieser Kriterien. Trotzdem plädiert SPD-Generalsekretär Hubertus Heil in der Wahlarena der Gamescom sogar dafür, „e-Sports als eine olympische Sportart anzuerkennen“. Im spielaffinen Publikum erntete er tosenden Applaus, beim Twitter-Publikum Gelächter. Offensichtlich also ein kontroverses Thema.

Auf ins Getümmel: ESL Cologne

Ich will mich selbst davon überzeugen, dass die ominösen drei Kriterien von e-Sport nicht bedient werden. Meine geballte Unwissenheit ist Anlass genug, sich dem Thema mal ein ganzes Wochenende zu widmen und hinter die Kulissen der Spiele- und Zockerwelt zuschauen. Hierfür eignet sich nichts besser als eins der größten e-Sport-Events Deutschlands: die ESL One Cologne.

Jedes Jahr trifft sich in der Lanxess Arena in Köln die Crème de la Crème der CS:GO-League. Tausende Besucher aus aller Welt reisen extra für das Event an, Millionen begeisterte Zuschauer sitzen am heimischen Computerbildschirm und beobachten die Erfolge ihrer favorisierten Mannschaften. Den Gewinnern winken jedes Jahr höhere Siegerprämien. Aber auch große Konzerne, wie Coca-Cola, YouTube oder RedBull, werden auf die Nachwuchs-e-Sport-Profis aufmerksam. Millionenschwere Werbe- und Sponsoringverträge gehören zum Tagesgeschäft der Zocker.

Da ich von der gesamten Materie jedoch so viel Ahnung habe wie von Mathe in der Oberstufe, brauchte ich bei meiner Recherche vor Ort Unterstützung von waschechten Vollprofis auf diesem Gebiet. Dafür habe ich mir zwei Jugendpresse Rheinland-Redakteure ans Land gezogen, um mich zu begleiten. Marlon (19) spielt seit Jahren auf höchstem Niveau CS:GO, kennt das Regelwerk in und auswendig, weiß über die teilnehmenden Teams bestens Bescheid. Nico (20) hat den Blick für die wichtigen Details. Er weiß genau, wann es in einem Match spannend wird und erkennt die sportliche Komponente hinter jedem e-Sport-Spiel. Die beiden werden mich aufklären, wenn ich mal wieder auf dem Schlauch stehe und mir zeigen, wie e-Sport, trotz Gegenstimmen, zur Sportart wird.

Wie populär die ESL One Cologne ist, zeigen aktuelle Zahlen: Über eine Millionen Zuschauer verfolgen das Event von zuhause aus. Die ganze Welt schaut zu. In Köln größter Veranstaltungsarena, der Lanxess Arena schauten das Wochenende über mehr als 12.000 Zuschauer vor Ort zu. Dass dieses Turnier schon längst nicht mehr nur eine Hobby-Veranstaltung ist, zeigen auch die Höhen der Siegerprämien, welche fast an die Gehälter internationaler Fußballprofis ragen: So kann sich der erste Platz über ein sattes Preisgeld von 100.000 Euro freuen. Und auch die restliche Top-Ten geht nicht leer aus: Platz zwei bekommt 40.000 Euro, Platz 10 nette 10.000 Euro für ihren Erfolg.

Mit der Jugendpresse vor Ort

Am Freitagmorgen haben Marlon, Nico und ich uns vor der Lanxess Arena in Köln-Deutz getroffen. Voller Vorfreude und Neugier betraten wir die Arena. Bereits morgens gegen 9 Uhr war rappelvoll. Brasilianische, argentinische oder amerikanische Flaggen wehten uns entgegen: Ein Event für die Welt.

Man erkannte sofort, welches unglaubliche Teambuilding sich hinter den Spielen versteckte. Quasi blind und fokussiert auf den eigenen Bildschirm musste die Teammitglieder aufeinander vertrauen und sich Rückendeckung geben. Mit höchster Präzision, Geschick und Strategie war es Aufgabe, das gegnerische Team auszuschalten. In Bruchteilen von Sekunden und mit einer übermenschlich höhen Reaktionsgeschwindigkeit – mit dem Auge kaum erkennbar – wurden Schüsse mit den Pixel-Pistolen und -Gewehren abgeschossen. Die Spieler vertrauten dabei enorm auf das Talent und Können der Teamkameraden. Innerhalb von wenigen Minuten ist dann alles passiert.

Ich bin überwältigt von der Atmosphäre und wie die Besucher aus aller Welt sich in den Armen liegen und gemeinsam mitfiebern. Trotzdem verwirrt mich, wie man sich in einer vollkommenen virtuellen Welt zurechtfinden und sich auf seine Teamkollegen quasi blind verlassen kann. Die Spieler haben in der kurzen Zeit natürlich keine Chance sich ausreichend mit der Situation auseinanderzusetzen, oder defensiv zu spielen.

Eine richtige Sportart? Und wie!

Wir drei haben uns letztendlich im Innenraum mit einer Cola zusammengesetzt und gemeinsam über die drei Gegenargumente des DOSBs im Gutachten gesprochen. Und unser persönliches Urteil ist so knallhart wie das Gutachten selbst:

Zum ersten Punkt: Ist eine klare Bewegungsstruktur in der Sportart erkennbar? JA! Noch nie habe ich in Bruchteilen einer Sekunde so viele Anschläge auf einer Tastatur oder Computer-Maus gesehen. Und das sind nur die offensichtlichen Bewegungen. Was hinter der Schädeldecke passiert, ist enorm. Vergleichbar mit Schach, unser beliebtestes Beispiel für eine Denk-Sportart oder Bogenschießen, wo ebenfalls perfektionistisch gezielt und geschossen werden muss. Oder habt ihr schon mal einen Bogenschützen rennen sehen? Wir nicht. Und trotz fehlender Leistungsbewegung handelt es sich hierbei um eine anerkannte, etablierte Sportart.

Punkt 2: Sportarten müssten „ethische Werte wie Fairplay und Chancengleichheit“ erhalten. Ein guter Punkt, geben wir zu. Aber wieso ist es ethisch wertvoller, wenn sich zwei Menschen im Kampfring gegenseitig ins Gesicht schlagen, als wenn man sich in einer virtuellen Welt gegenseitig beschießt? Wenn ich mir nach Boxkämpfen die Blutlachen im Ring anschaue, hat das mit ethischen Werten für mich nicht mehr viel zu tun. Außerdem steht Fairplay auch beim e-Sport an oberster Stelle. Dafür gibt es ganz klare Regelwerke und harte Strafen bei Verstößen.

Und zum dritten Punkt, dass Sportarten gewisse organisatorische Standards, wie ein festes Regelwerk oder klare Verbands- und Vereinsstruktur vorweisen müssten: Aber Halleluja! Es gibt mehrere internationale und nationale Verbände und Organisationen, die für die Förderung des e-Sports zuständig sind. Ende 2003 wurde hierfür bereits der Deutsche eSport Verband (DeSpV) gegründet. Er gründet erste Regelwerke, formt Vereine durch Transferregelungen und kümmert sich um Sponsoringanfragen. Besser kann ein Sport-Business nicht aufgebaut und konstruiert sein.

Wir verstehen die Gegenstimmen, wer aber mal bei der ESL One Cologne dabei gewesen ist, merkt spürbar, dass es unzählige Parallelen zu etablierten Sportevents wie Worldcups, WMs oder Openings gibt. Die Teams müssen sich beweisen, kämpfen hart um ihren Erfolg. Sie trainieren mit und gegeneinander über Jahre und sind immer wieder der Herausforderungen von innovativen Veränderungen der Spiele gestellt. Nur weil es neu ist, ist es nicht automatisch schlecht. Wir empfehlen daher einen Besuch bei der nächsten ESL One Cologne, um sich mal selbst ein Bild über die Debatte machen zu können.


*Ein großes Dankeschön geht hierbei außerdem an die Veranstalter der ESL One Cologne 2017, die uns bei unserer Recherche kräftig unterstützt zu haben.