Landesverrat: Ermittlungen gegen netzpolitik.org
Gestern sorgte eine Nachricht ganz besonders für Aufregung im Netz: staatliche Ermittlungen gegen das Blog netzpolitik.org wegen angeblichen Landesverrats. Bitte was? Einen Moment: ja, der Vorwurf des Landesverrats steht tatsächlich im Raum. Eine Farce für den Rechtsstaat und die Demokratie. Und ein Schlag in die Magengrube der Pressefreiheit, findet auch der Deutsche Journalisten Verband DJV.
netzpolitik.org ist ein politisches Blog, betrieben von Chefredakteur Markus Beckedahl und Redakteur André Meister. Die Schreiberlinge beschäftigen sich dort seit längerem mit der NSA-Spionage-Affäre (oder wie Bundesanwalt Range sie nennt: „NASA-Affäre„) und Datenschutz in Zeiten totaler Massenüberwachung durch ausländische Geheimdienste. Wer sich öfter im Netz rumtreibt und sich mit Themen wie der NSA, dem NSU oder eben Datenschutz befasst kennt dieses Blog. Und wer es nicht kennt, tut es spätestens jetzt. Doch weshalb nun die Anzeige und das begonnene Ermittlungsverfahren?
Die Anzeige gegen die Journalisten Markus Beckedahl (Chefredakteur), André Meister (Redakteur) und „Unbekannt“ wurde gestellt vom Präsidenten des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen. Der wirft den Bloggern vor, vertrauliche Informationen im Zusammenhang mit der NSA-Späh-Affäre an die Öffentlichkeit rechtswidrig weitergegeben zu haben und diese auf dem Blog veröffentlicht zu haben:
Die Anzeige ging bereits vor zwei Monaten beim Generalbundesanwalt ein. Dieser hat nun ein offizielles Ermittlungsverfahren gegen die Journalisten eingeleitet wegen Landesverrat nach Paragraf 94, Absatz 1, Nr 2 Strafgesetzbuch. Dort heißt es:
Wer ein Staatsgeheimnis sonst an einen Unbefugten gelangen lässt oder öffentlich bekanntmacht, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
Unglaublicher Feldzug gegen Journalisten
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Es ist schwer vorstellbar, dass hier der Tatbestand des Landesverrats voll erfüllt ist. Das letzte Mal als gegen Journalisten mit diesem Vorwurf ermittelt wurde war vor über 50 Jahren in der sogenannten „Spiegel-Affäre„, als das Blatt Mängel bei der Bundeswehr aufdeckte. Das Blog netzpolitik.org steht nicht vor dem Aus, dafür ist die öffentliche Solidarität viel zu groß. Der Fall ist also durchaus etwas besonderes, nicht nur, weil es das erste Mal seit fünf Jahrzehnten wieder ein Verfahren wegen Landesverrat gegen Journalisten gibt.
Ganz besonders herb ist der Fall für die Pressefreiheit in Deutschland. Der DJV sprach bereits von einem „Angriff auf die Pressefreiheit in Deutschland“. Der Verfassungsschutz arbeitete laut Recherchen des Blogs seit längerem an einer neuen Abteilung, die die Internet- und Telekommunikationsüberwachung in Deutschland ausweiten sollte. In welchem Ausmaß und wieweit die Planungen für diese neue Abteilung fortgeschritten sind, ist nicht klar. Feststeht, dass dem Verfassungsschutz solche investigative Journalisten im eigenen Gelände schon lange stören. Der Verfassungsschutz versucht, sich selbst zu schützen anstatt die Verfassung. Und nun kommt es zum Eklat, ja zum Skandal. Die Anzeige des Präsidenten Maaßen war mit den Beamten des Bundesinnenministeriums abgesprochen, der Innenminister wurde offenbar nicht informiert.
Bundesjustizminister geht auf Distanz zu Range
Die Regierung gibt also Rückendeckung für haltlose Ermittlungen gegen Journalisten, die unbequeme Wahrheiten zu Tage fördern, was genau ihre Aufgabe ist. Die Bundeskanzlerin war offenbar ebenfalls nicht informiert, was aber keine Überraschung darstellen sollte. Ob Generalbundesanwalt Harald Range das ganze für einen großen Scherz hält? Selbst sein oberster Dienstherr, Bundesjustizminister Heiko Maas distanzierte sich heute von ihm. „Ich habe Zweifel daran, ob es sich bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt, dessen Veröffentlichung die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt“, erkläre Maas in Berlin.
Auch die Opposition läuft Sturm. Zu Recht sprach der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Jan Korte, von einer Art „Zombie-Politik“, die die Justiz hier betreibt. Journalisten und Blogger würden verfolgt dafür, dass sie die Wahrheit schrieben, wahre Rechtsverletzungen wie das Ausspähen der Bürger durch die NASA blieben hingegen ungeahndet, so Korte weiter. Renate Künast (Grüne), Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, nannte die Ermittlungen eine „Blamage für den Rechtsstaat“. Lediglich einige Abgeordnete der Union wie der CSU-Politiker Stephan Mayer kritisierte die Kritik am Generalbundesanwalt. Auch Markus Beckedahl selbst nennt die Ermittlungen „absurd“. Seiner Ansicht nach liegen hier klare Anzeichen für einen Einschüchterungsversuch vor. Der Generalbundesanwalt habe die Ermittlungen vorerst eingestellt, um ein Gutachten über die Erfüllung des Tatbestandes einzuholen. Diese Reihenfolge „bestätigt eher unsere These, dass es sich bei den Ermittlungen um einen Einschüchterungsversuch handelt“, sagte Beckedahl.
Das Verhalten Ranges ist der eigentliche Landesverrat
Der ehemalige Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Peter Schaar, sieht darin sogar ein „Potential, das einen Minister das Amt kosten könnte“. Gemeint war offenbar Innenminister Thomas de Maizière, derzeit im Urlaub, der über die Erstattung der Strafanzeige nicht von seinem Mitarbeitern informiert wurde.
Wo uns dieser Krimi hinführen wird, ist ungewiss. Wir brauchen einen Generalbundesanwalt, der keinen Verrat an den Grundwerten unserer Demokratie begeht, und sich nicht von der Regierung instrumentalisieren lässt. Das ist nämlich der eigentliche Landesverrat. Wir Journalisten sollten uns bestärkt in unserer Arbeit und in unserem Wert für diese Gesellschaft fühlen, und jetzt erst recht recherchieren und aufdecken. Eins ist sicher: man kann nur hoffen, dass dieser Fall auch wie der vor 53 Jahren ausgeht. Mit einem Sieg für die Presse.