„Gut gemacht!“ — Bundespräsident dankt Helfern

Das war hoher Besuch für die 110.000-Einwohner Stadt: Am 12. November 2015 beehrte  Bundespräsident Joachim Gauck die Stadt Bergisch Gladbach mit seinem Besuch, um sich über die Unterbringung der Flüchtlinge zu informieren und sich persönlich bei den vielen haupt- und ehrenamtlichen Helfern zu bedanken. Zuletzt war 1985 Bundespräsident Richard von Weizsäcker in der Stadt. Und sogar ein Pressevertreter der einzigen deutschsprachigen Zeitung in Australien, „Die Neue Woche in Australien“, war zu Gast.

Gauck mit haupt- und ehrenamtlichen Helfern im Rathaus bei Bürgermeister Lutz Urbach. Foto: Fabian Felder
Gauck mit haupt- und ehrenamtlichen Helfern im Rathaus bei Bürgermeister Lutz Urbach. Foto: Fabian Felder

Ganze vier Stunden nahm sich das Staatsoberhaupt, um sich ausführlich die Flüchtlingsunterbringungen in Heidkamp im ehemaligen Gustav-Lübbe-Verlagshaus, die Großraumzelte in Katterbach anzusehen, mit Helferinnen und Helfern intensiv zu sprechen und Bürger im Bürgerhaus Bergischer Löwe zu treffen. Pünktlich um 10 Uhr traf der Präsident gemeinsam mit Bürgermeister Lutz Urbach und dem Staatssekretär im NRW-Innenministerium, Bernhard Nebe, an der Heidkamper Einrichtung ein. Joachim Gauck wurde herzlich mit Klatschen und Jubelrufen empfangen, vor dem Eingang hatten sich einige dutzend der 140 Bewohner der Unterkunft bereitgestellt. Es wurden Hände geschüttelt, Fotos und „Selfies“ gemacht und für die zahlreich erschienene Presse posiert. „So, jetzt haben Sie ja ihre Bilder“, scherzte Gauck. Ein Bewohner drückte dem Gast einen Strauß Blumen entgegen, der Bundespräsident war sichtlich erfreut und genoss die gute Atmosphäre. Im Inneren des Hauses sah sich der Präsident um, außerdem trafen er und Bürgermeister Urbach auf zwei syrische Staatsangehörige. Der Besuch hatte natürlich einen ernsten Hintergrund.

Flüchtlingssituation in Bergisch Gladbach prekär

Bis Ende Oktober 2015 lebten in Bergisch Gladbach rund 1.500 Schutzsuchende aus insgesamt 43 Ländern, darunter 283 Kinder und insgesamt 165 Familien. Die Stadt hat umfassende Maßnahmen getroffen, um sich auf die hohe Zahl von Schutzsuchenden vorzubereiten: zwei Hotels wurden gekauft oder angemietet, vier Turnhallen abgestellt, es wurden Großraumzelte und Leichtbauhallen errichtet. Die Flüchtlinge kommen durch den sogenannten „Königsteiner Schlüssel“ nach Bergisch Gladbach, das bundesweite Rechenschlüssel-Verfahren zur Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer und Kommunen. Nordrhein-Westfalen muss nach diesem System 21,21 % der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge unterbringen. In Gladbach gab es seit 1995 immer rund 100 Asyl- und Schutzsuchende, ein verschwindend geringer Anteil im Vergleich zur heutigen Situation: Allein zwischen dem 1. Oktober 2015 und dem 1. November 2015 kletterte die Zahl der Flüchtlinge in Bergisch Gladbach von 1.054 auf 1.525. Nach wie vor kommen die Menschen zu jeweils eine Drittel aus dem Nahen Osten, vom Balkan und aus Afrika.

Gauck war „begeistert und auch besorgt“ 

Nach dem Termin im Lübbe-Haus zog es die präsidiale Delegation zur Flüchtlingsunterkunft auf dem Sportplatz in Katterbach: Dort stehen die Großraumzelte. Eine kleine Schar von Bürgern mit vielen Kindern empfing den Bundespräsidenten bei seiner Ankunft. Ein kleines Mädchen ließ es sich nicht nehmen, dem Präsidenten nachzulaufen, um doch noch seine Hand schütteln zu können. Die Mitarbeiter und Helfer des DRK-Kreisverbandes Rhein-Berg um ihre Vorsitzende Ingeborg Schmidt leisten seit Wochen und Monaten tatkräftige Unterstützung bei der Versorgung der Menschen. Als Joachim Gauck in Erscheinung tritt, wird er auch hier mit erfreuten Sprech-Chören, Klatsch- und Jubelrufen empfangen: Der Präsident erwidert das warmherzige Willkommen mit einem lauten „Hallo“ und einem Klatschen in die Hände. So sieht Willkommenskultur wohl auf präsidialer Ebene aus. Übersetzer vermittelten zwischen den Menschen und Gauck, eine Frau klagte über die viel zu lang andauernden Asylverfahren und Bearbeitung der Anträge. Gauck hörte zu und verstand. Er ist eben ein Mann des Volkes, egal, wer da vor ihm steht, egal, welche Sprache gesprochen wird oder welche Religion gelebt wird. In dem großen Zelt traf Gauck noch auf Reinhold Feistl, den Geschäftsführer des DRK in Rhein-Berg. Angesprochen wie er die Situation vor Ort empfinde, sagte Gauck er sei „begeistert, weil es so viel Tatkraft gibt bei den Hauptamtlichen, bei den Ehrenamtlichen. Und besorgt, weil das kein Dauerzustand ist, was ich gerade jetzt sehe: Dieses Zusammenbringen unserer Besorgnisse und unserer Kräfte; das ist ziemlich wichtig.“ Auch Ingeborg Schmidt bescheinigt, dass „die Menschen Hoffnung haben“, der Präsident habe ihnen verständnisvoll vermittelt, „dass sie Geduld aufbringen müssen, weil wir so viele Menschen hinzubekommen“, sagte Schmidt dem Westdeutschen Rundfunk.

Präsident Gauck mit DRK-Kreisvorsitzende Ingeborg Schmidt und DRK-Geschäftsführer Reinhold Feistl. (Foto: Fabian Felder)
Präsident Gauck mit DRK-Kreisvorsitzende Ingeborg Schmidt und DRK-Geschäftsführer Reinhold Feistl. (Foto: Fabian Felder)

Offenes Ohr für die Helfer

Im kleinen Ratssaal im Rathaus sprach Bundespräsident Gauck intensiv mit zwölf ausgewählten Haupt- und Ehrenamtlichen Bergisch Gladbacherinnen und Bergisch Gladbachern. Das Gespräch fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, die Begegnung war sehr persönlich. Bemerkenswert, denn für diese Station nahm sich das deutsche Staatsoberhaupt über eine Stunde Zeit, hörte genau zu, ließ Missstände weiterleiten und dankte aufrichtig für die geleistete Arbeit. Der Bundespräsident hatte bei den Gesprächen „großes Interesse an den Knackpunkten, die wir in Bergisch Gladbach haben, unser Bürgermeister hat ja schon mehrfach an Land und Bund geschrieben, dass es hier Probleme gibt“, berichtete Ratsfrau Mechthild Münzer, die sich ehrenamtlich um  Bedürfnisse wie Schulausstattung, Kindergartenplätze und Sprachförderung für Kinder in Moitzfeld kümmert. „Aufgrund des warmen Wetters haben wir noch die Möglichkeit, die Menschen in Zelten unterzubringen. Aber wenn es spürbar kälter wird müssen andere Lösungen her.“ Zur finanziellen Lage wünsche sie sich eine Rückfinanzierung durch Bund und Länder, andernfalls wären die anfallenden Kosten für die Stadtkasse ein „Fiasko“. Auch Urbach forderte in seiner Ansprache im Bergischen Löwen eine vollständige  Kostenübernahme.

Hildegard Knoch-Will. Foto: Fabian Felder
Hildegard Knoch-Will. Foto: Fabian Felder

Hildegard Knoch-Will, Initiatorin der Spendenaktion „Schuhe für Bulgarien“ und neuerdings auch der Gruppe „Neue Heimat Bergisch Gladbach“, saß mit am Tisch des Bundespräsidenten im Rathaus, dessen Person sie als sehr sympathisch und ehrlich empfand. Ihre Gruppe und sie möchten mit dazu beitragen, dass die neuen Bürger der Stadt hier herzlich und liebevoll aufgenommen und integriert werden. „Wir wollen im Lübbe-Haus einen Begegnungsraum schaffen, den wir gern wöchentlich als Café anbieten möchten. Wir hegen den Wunsch, allen Flüchtlingen, die zu uns kommen neben Wohnraum und Verpflegung, auch einen guten Start hier zu ermöglichen. Die Flüchtlinge helfen und arbeiten auch mit, dadurch entstehen vollkommen neue Möglichkeiten und Freundschaften, das bindet ja auch wieder und genau dazu möchten wir beitragen.“

Bürger sollen „das Maul aufmachen“

In seiner Ansprache im Bergischen Löwen, für die Gauck sehr deutliche und direkte Worte fand, nannte er auch den Grund für die Wahl Bergisch Gladbachs als Besuchsort: „Weil ich an einem Punkt ein mal exemplarisch in der Nähe von gelösten und ungelösten Problemen sein möchte. Wir alle wissen: Wir stehen vor schweren Herausforderungen.“

In Richtung vieler rechter Gruppen, die gegen Flüchtlinge Stimmung machen, sagte der Präsident, dass man nicht aufhören dürfe, die Probleme zu benennen, die vor Ort ganz konkret anfielen, denn „dann werden am rechten Rand genug Verführer und Nutznießer sein, die sich dieser Probleme bemächtigen und so tun, als wären sie die einzigen, die darüber sprechen. So darf das natürlich nicht sein“, mahnte Gauck.

Joachim Gauck lobt Bürgermeister Lutz Urbach. Foto: Luis Rüsing
Joachim Gauck lobt Bürgermeister Lutz Urbach. Foto: Luis Rüsing

Auch in Bergisch Gladbach gibt es viele ungeklärte Fragen, wie etwa bei der Nutzung  und Schaffung zukünftiger Unterbringungsmöglichkeiten: „Und die Bürgerinnen und Bürger in den Gemeinden, die davor stehen, dass die Turnhallen ihrer Kinder belegt sind (…), die dürfen das Maul aufmachen, die dürfen sagen: ‚Bürgermeister, was machst Du gerade mit uns?‘ “. Man müsse rechtzeitig mit den menschen über Probleme und Schwierigkeiten sprechen, so Gauck. „Und dann darf der Bürgermeister auch antworten: „Ja, was soll ich denn sonst machen? Soll ich die Leute unter Brücken schlafen lassen, oder am Fluss, oder an der Landstraße liegen lassen? Dann wird er hören, was er für Antworten bekommt.“

„Ich bin total dankbar und glücklich!“

Es waren sehr authentische, ehrliche und zugleich präsidiale Worte, die Joachim Gauck an die über 450 geladenen Gäste im Bergischen Löwen richtete. „Wenn unser Land eine Person wäre, würde ich sagen: ‚Gut gemacht!‘ “. Urbach hatte zuvor die fehlende Bereitschaft von Bund und Land kritisiert, eine angemessene Kostenerstattung zu leisten.  „Wir kommen langsam an die Grenzen. Es ist keine Frage des Willens. Wir möchten es schaffen. Doch uns plagen Bauchschmerzen, die Frage nach dem „wie“. Bitte nehmen Sie diesen Hilferuf mit nach Berlin“, bat er in Richtung Bundespräsident.

Gauck bedankte sich bei allen Helferinnen und Helfern, die der Stadt bei der Versorgung der Flüchtlinge helfen: „Ich bin total dankbar und glücklich, dass dieses Land sich so selber erkennt in seinem Potenzial, in seiner Fähigkeit nicht wegzuschauen, sondern hinzusehen und helfen zu wollen. Wunderbar!“

Es blieb sogar noch ein wenig Zeit für persönliche Begegnungen mit Bürgern. Handshake, Selfie, Gruppenfoto: Der Präsident nahm ein Bad in der Menge, bevor er gegen 14 Uhr wieder Richtung Berlin entschwand. Einen bleibenden Eindruck hat sein symbolträchtiger Besuch in Bergisch Gladbach in jeder Hinsicht hinterlassen. Und viele seiner Gesprächspartner sind sich sicher: Er trägt die vorgebrachten Probleme an die richtigen Stellen weiter. Bergisch Gladbach jedenfalls kann stolz auf seine Bürger sein.